Nach den Bahngleisen rechts, ein breiter Weg, ein Schlagbaum – nichts weiter deutet darauf hin, dass sich hinter dieser Sperre eine wunderschöne, weitgehend der Natur überlassene Landschaft vor fremden Augen versteckt. Kein Schilderwald, keine Ge- und Verbote. Keine Schautafeln. Keine Parkplatzeinweisung. Einfach so liegt da ein echtes Schätzchen, verborgen hinter Eichen, Ahorn, Pappeln, unzähligen Birken und den für die Region eher seltener anzutreffenden Kiefern. Die Nordoer Binnendünen.

Ach – wenn es doch so bliebe.
Aber: Das Gelände der Freiherr-von-Fritsch-Kaserne wurde 2010 an einen privaten Investor verkauft. Auf Zehenspitzen und dem Baulärm nach, kann man hinter dem Bahndamm einem Wohnpark dabei zusehen, wie er aus dem Boden gestampft wird. Und sich ohne viel Phantasie eine Armada von Carports, Zweit- und Drittwagen, kilometerweise Gittermattenzäune in allen Farben und Höhen und ein Heer von jungen Familien vorstellen, die in Bälde diese naturnahe Retorte – der Investor hat da sicherlich einen schöneren bildhaften Vergleich gefunden – beherbergen wird.
Der ehemalige Truppenübungsplatz, der zur Kaserne im Landkreis Steinburg gehörte, ist an die Stiftung Naturschutz verpachtet. Unter dem wohlklingenden Namen „Binnendünen Nordoe“ (Konzept) plant das Landwirtschaftsministerium wohl die Entstehung eines Naturschutzgebietes. Und bis es dann so weit ist, dass hinter den Gleisen naturnah geparkt und gewohnt wird, kann man auf unzähligen Wegen, über Weiden und über Sanddünen hinweg ein Paradies entdecken, in dem die Stiftung mit viel Feingefühl den Natur- und Artenschutz sichert.

In dem knapp 407 Hektar großen Naturschutzgebiet, das größtenteils ein Flora-Fauna-Habitat-Gebiet (FFHG) ist (einfach schön, wenn der Bürokrat Natur in Worte fasst), finden sich feuchte und trockene Heiden, offene Dünen, Trockenrasen und kleinere Gewässer. Sie sind ein Zuhause für Libellen, Molche, Kröten und viele Vogelarten. Zur Pflege dieser ganz besonderen Landschaft werden tierische Helfer eingesetzt. Auf den riesigen Weiden grasen Ziegen, Rinder und Pferde. In den oftmals durch Panzerketten entstandenen Flachwassertümpeln kreucht und fleucht es.

Bei strahlendem Sonnenschein und knatschblauem Himmel, bewaffnet mit der Kamera und unter Begleitschutz des Mannes, hab ich also gestern dieses Paradies für mich entdeckt. Nach den inzwischen vorliegenden Informationen wohl auch zum rechten Zeitpunkt bzw. keinen Tag zu früh. Wenn ich so viel Schönes sehe, dann werde ich für alle in meiner Nähe zur Plage. Schau mal hier – und sieh mal dort – und hast du das gesehen. Und hier, das hier. Und dort – jenes. Und gugg mal da, und – schnell, schau – dort … Und für mich selbst auch ein bisschen, weil es so schwerfällt, Ruhe zu bewahren und sich auf die Dinge ganz einzulassen. Die Kamera bremst und zwingt zur Ruhe. Und gleichzeitig tritt der Mann auf der Stelle und möchte voran.
Fazit: Gestern war nicht alle Tage, ich komm wieder, keine Frage.
Absolut begeistert hat mich dieser Landstrich, der mit so viel Unerwartbarem glänzt. Wer denkt schon an Dünen im Landesinneren? Wer an Wald und Bäume, ja gar an Kiefern, wenn er Schleswig-Holstein kennt? Wer rechnet irgendwo zwischen Autobahn und Itzehoe, zwischen TÜV und Tankstellen mit solch einem Paradies?
Bonbon, I-Tüpfelchen, Highlight – die riesige Burenziegenherde. Dass diese Ziegenart von der Hottentottenziege abstammt, bringt den Mann auf ein Bonmot. Er nennt die Viecher „Apartheidsziegen“, worauf ihn deren südafrikanische Herkunft und die Buren im Namen brachten.

Erst zeigen sich drei, vier Tiere und aus Übermut rufe ich (wie ich das sonst bei meinen eigenen Viechern tu) in einem albernen lauten Singsang:
„Koooomt Ziegen, koooooooomt. Naaaa kooooomt Ziegentiere, kooooooommmmmt.“ (Ziegen-Muezzin)
Und da kommen sie auch schon. Ja, durch die hohle Gasse quellen nach und nach geschätzte 200 weiß-braune Burenziegen, eine neugieriger, als die andere. Und die vor dem Zaun am neugierigsten. Geduld ist gefragt beim Mann. Auch bei den Ziegen.
Und kaum weiter, sehe ich in knapp 300 Metern Entfernung eine Herde Pferde zu uns herüber blicken. Ja, man ahnt es bereits.
Was bei Ziegen klappt, klappt auch bei Pferden. Und schon laufen sie auf im Galopp. Es dürfte sich um Exmoor-Ponys handeln. Die urtümlichen Konik-Pferde, wie angekündigt, haben wir nicht entdeckt.

Glockenblumen und Erika, Buschrosen und Schlehe, Ginster und Heidekraut, Gräser und Schilf, und überall und in so vielen Farben, Formen und Arten: Pilze.
Und nun gehts los – auf einen Spaziergang, vorbei an den ehemaligen Schießbahnen und Gerätschaften, die den Streitkräften eine „wirklichkeitsnahe Gefechtsausbildung“ ermöglichen sollten, vorbei an Klettergerüsten, Steintunnels, Holzwänden und allerlei anderen „Installationen“, bei denen man unweigerlich kurzatmige, schwitzende Rekruten, brüllende Kommandeure und die Sinnlosigkeit sämtlicher Kriege dieser Welt vor Augen hat.
~ Auf gehts durch eine wunderschöne Landschaft ~



Übrigens:
„In Zukunft“, meint der Mann, „gehst du allein auf Safari.“
Und dass er mit mir mehr steht als geht.
„Oder“, sagt der Mann, „du lässt die Kamera tu huus.“

Tja, diese Trüpl (Truppenübungsplätze) sind für Fauna und Flora ein Segen. Hier im Brandenburgischen haben die Wölfe ihr Paradies gefunden, auch Luchse wurden gesichtet, ganz zu schweigen von Reh-, Rot-, Dam- und Schwarzwild. 😉
Auf so viel tolle Fauna hoffe ich ja auch. Bislang ist hier leider nur mit Kleinvieh gedient, aber immerhin … 🙂
Vielleicht liegt es daran, dass die Übungsplätze hier noch in vollem Betrieb sind … 😀
Eine gewagte Theorie – was ist dem Wolf lieber? Touristen oder Panzerketten? 😀
Wölfe sind schlau. Die haben sich gegen die Schaulustigen entschieden. 😉
Schöne Fotos von einem verwunschenen Ort, den ich damals nicht würdigen konnte, als ich im Rahmen meiner vaterlandsverteidigenden Grund-Wehrübungen durch seine Dünen und Wälder fluchend und zähneknirschend robben musste. Zeitweilig eine Gasmaske tragend und das nicht etwa, weil die Burenziegen solche Flatulanzen vom Stapel ließen. Dabei ist Nordoe wirklich so schön!
Gib‘ Dich übrigens keinerlei Illusionen hin. Selbst damals schossen dort auch schon Frauen auf andere Menschen, wenn auch nur mit Platzpatronen. Und die taten es – anders als ich – freiwillig.
Na sowas, ein Betroffener … 😎 Die alten Gerätschaften stehen übrigens noch, wenn auch recht verwittert. Und über schießende Damen hab ich heut auch schon nachgedacht … Zeitgleich zum Blogeintrag vermeldet die SHZ Panzermanöver im Weltnaturerbe Wattenmeer – keine schöne Nachricht für die über 50.000 Vögel bei Meldorf/Dithmarschen.
Liebe Heike,
ein ganz wunderbarer Bericht. In fast jedes Bild – ich hatte gerade erst ‚Foto‘ hingeschrieben, aber das wird den Bildern irgendwie nicht gerecht – kann man eintauchen, ja gradezu drin baden…
Habe ich das jetzt richtig verstanden: das mit Kriegsvorbereitungsunterbringungsmöglichkeiten bebaute Kasernengelände wird Wohnsilo äh, -siedlung, aber der Trüpl (habe ich eben aus dem ersten Kommentar gelernt) bleibt als Naturschutzgebiet bleibt bestehen. Naja, immerhin das. Da freu ich mich schn auf Deine nächste Solo-Safari. Der erwähnte Mann allerdings, der ist mir irgendwie durchaus sympathisch. Ich lese und sehe das unglaublich gerne hier im Blog und leide ob der grossen Abstände zwischen den Beiträgen grösste Qualen, aber einmal unterwegs möchte man dann ja auch mal voran kommen…
Ach ja, die Ziegengeschichte ist herzallerliebst, ich weiss schon, wem der Jo die mal gleich spezialspeziell empfehlen wird…
Liebe Grüsse
Kai
…und irgendwann, wenn das letzte bisschen Grün verschwunden ist, wird’s auch den Herren Gier und Wachstum dämmern, dass es nicht das Wahre war. Oder vielleicht auch nicht, wer weiss. Ignorance is bliss. Danke für diesen tollen Einblick in das künftige Naturreservat – ist mit dem wenig Natur, was wir noch haben, wie mit den Indianern: es muss in einem Reservat geschützt werden. Zauberhafte Bilder…und das mit der Safari kommt mir irgendwie bekannt vor 😉
What a gorgeous series. I love the animals.
Dass Du nicht nur wunderbar mit Worten spielen kannst, sondern auch die Kamera perfekt bedienst, wissen wir ja schon lange! Aber es ist immer wieder ein Erlebnis!! Liebe Grüße und eine gute Woche!
Liebe Heike, vielen Dank für diesen wunderschönen Rundgang durch ein Paradies, das ganz nach meinem Geschmack ist. Gut zu wissen, dass es unter Naturschutz gestellt wird, damit nicht auch noch dieses feine Stückchen Welt zu Geld verwurstet wird.
Leider liegen die Nordoer Binnendünen für mich nicht so ganz nahe. Aber ich werde schauen, dass wir auf unserer nächsten Reise gen Norden da mal Station machen. Der Liebste wird sich bei dieser Gelegenheit dann auch wieder verfluchen, dass er mich mit so schönen Kameras beschenkt und damit meine Fotoleidenschaft geweckt hat. Aber zumindest weigert er sich noch nicht, mich auf Fotosafari zu begleiten 😉
Liebe Grüße
Jana
Ja, ich hab gestern einen Spaziergang durch dein wunderschönes Blog gemacht. Es sind ja nicht allein deine Rezepte, die klasse sind, die Fotos sind es auch. Ein Foodblogger wird aus mir nie, es fehlt mir ganz klar an Talent zur Deko. Man muss ja aber auch nicht alles können (wollen), einmal mehr nicht dann, wenn es Menschen gibt, die das so perfekt schaffen, wie du 🙂
Für die Geduld deines Mannes beneide ich dich glatt 😀 Herzliche Grüße, Heike
Herzlichen Dank, liebe Heike. Es bedeutet mir wirklich viel, dass dir mein Blog gefällt – deins bewundere ich nämlich auch sehr. Sowohl Text als auch Bild 🙂
Fehlendes Dekotalent hat übrigens auch Vorteile: Man kommt nicht in Versuchung, immer wieder Props zu kaufen 😉 Dafür hast du ein phantastisches Auge für Makro … und für Landschaft sowieso.
… und mein Mann hat gar keine andere Wahl als geduldig zu sein 😉
Liebe Grüße
Jana
Vielen Dank für die wunderbaren Foto-Gemälde und den schön beschreibenden Text ! Eine traumhafte Landschaft und ein Paradies für Tiere. Viele Grüsse aus Nürnberg von Anja